Einleitung
Die 2020er sind bereits jetzt ein Jahrzehnt der Konflikte. Das Wiederaufflammen des Nahost Konflikts, die Bedrohung Taiwans durch China, der Krieg um Berg-Karabach, sowie der Bürgerkrieg in Myanmar lassen den alten Kosmopolitismus, im Angesicht des neuen Realismus verblassen. Doch kaum ein Thema beschäftigt zumindest die europäische Außen- und Sicherheitspolitik momentan mehr als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nach fast zwei Jahren verlustreicher Kämpfe sind die Fronten statisch und eingegraben, eine Patt-Situation bahnt sich an und die Ukraine hielt gegen die mittlerweile hochgefahrenen Kriegsmaschinerie Russlands lange Zeit besser stand als erwartet. Das liegt zum einen an oftmals strategischer Überlegenheit, höherer Moral und erbittertem Kampfgeist der ukrainischen Verteidiger, zum anderen jedoch auch an westlicher Unterstützung der Ukraine durch Waffensysteme, Munition, Finanzen und Geheimdienstinformationen.
Doch nach Monaten uneingeschränkter Hilfe durch vor allem die Vereinigten Staaten, der EU sowie Skandinavien und dem Baltikum, scheint der Unterstützungswille des Westens zu bröckeln. Die Zeiten der schnellen Rückeroberungen besetzter Gebiete durch die Ukraine sind vergangen, vor allem durch die russischen Frontbefestigungen über den ersten Kriegswinter. Die Gefahr eines langanhaltenden, schwelenden Dauerkonflikts droht und Russland kommt mit den westlichen Sanktionen, als auch dem Verlust an Soldaten und Material besser zurecht als zuvor angenommen und erobern im Donbass zuletzt Schlüsselpositionen. Zudem rücken andere Konflikte in den Fokus, Israel bindet vor allem amerikanische Ressourcen und strategisch ist auch Taiwan auf lange Sicht wichtiger für die Amerikaner.
Wo vormals parteiübergreifende Unterstützung für Ukrainehilfen herrschte, werden diese politisiert und blockiert. Sowohl die EU als auch die USA setzten Hilfspakete aufgrund internen Widerstands zuletzt aus. Auch hat die Ukraine immer noch mit großen Korruptionsproblemen zu kämpfen. Nach bald zwei Jahren Krieg müssen sich die Regierungen westlicher Unterstützer daher immer mehr vor ihrer eigenen Bevölkerung für die Zahlungen und Hilfen rechtfertigen. Doch ist das Alles ein natürlicher Prozess? Musste es zwangsläufig so weit kommen? Oder werden politische und gesellschaftliche Entwicklungen, die zur Schwächung der westlichen Unterstützung der Ukraine beitragen, ganz gezielt von Russland gefördert und initiiert? Diese Vermutung möchte ich hier untersuchen, im Rahmen der Forschungsfrage; "Inwiefern betreibt Russland politische Kriegsführung, um die Unterstützung der Ukraine durch den Westen zu schwächen?“ Dabei liegt mein Fokus vor allem auf hybrider, politischer Kriegsführung, Cyberkampagnen und der Diskreditierung der Ukraine.
Wenn im Rahmen dieser Hausarbeit vom „Westen“ gesprochen wird, ist damit die politische westliche Staatengemeinschaft gemeint, die nicht geographisch, sondern als Gemeinschaft aus selbst zugeschriebenen Werten wie Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verstanden werden kann. Sie besteht unter anderem aus Ländern wie den USA, den EU-Staaten, Australien, Neuseeland und Japan.
Kontext
Post Sowjet Ära
Doch bevor sich mit der tatsächlichen Analyse von Russlands politischer Kriegsführung beschäftigt werden kann, muss der Kontext der russischen Invasion der Ukraine und die Rolle des Westens in diesem Konflikt erörtert und eingeordnet werden. Denn die Hintergründe und Interessen beider sich gegenüberliegenden Parteien zu verstehen, ist essenziell, um die Fragestellung an sich zu elaborieren.
Der Ursprung des derzeitig tobenden Staatenkrieges geht zurück bis in die 1990er Jahre, als die damalige Sowjetunion zusammenbrach und die ehemaligen Mitgliedländer somit zu souveränen unabhängigen Staaten wurden. (vgl. Goncharenko 2022)
Seit der de facto Unabhängigkeit in den 1990ern kämpfte Russland um mehr Einfluss auf die Politik des Nachbarlandes Ukraine. Zwar erkannte Russland 1997 im „großen Vertrag“ die Grenzen der Ukraine an, unterstütze jedoch auch massiv pro russische Regierungsvertreter in Wahlen wie beispielsweise Viktor Janukowitsch. Seine Wahl konnte im Rahmen der Orangenen Revolution 2004 verhindert werden. 2010 wurde Janukowitsch jedoch trotzdem zum Präsidenten gewählt. Nach wohl massivem Druck Russlands auf Janukowitschs Regierung, wurde im Sommer 2013 ein zuvor ausgehandeltes Assoziierungsabkommen mit der EU gekündigt, welches als Versuch zu mehr Anbindung an den Westen nach den gescheiterten NATO-Beitrittsverhandlungen 2008 gesehen wurde. (vgl. Goncharenko 2022)
Maidan Revolution und Konsequenzen
In Folge dieser Aufkündigung kam es 2014 zur Maidan Revolution. Die Maidan Revolution war ein, zu großen Teilen gewaltloser Widerstand gegen die prorussische Janukowitsch Regierung. „In den drei Monaten des Widerstands gegen das Janukowitsch-Regime schufen die Ukrainer eine wahrhaftig abwägende und selbstorganisierte Polis.“ (Bartkowski 2014, S. 1)
Dieser Widerstand beinhaltete eine Besetzung des Maidan Platzes in der Hauptstadt Kiews, Vernetzung und rechtliche Unterstützung von Aktivisten, Boykotte von regimenahen Firmen, Besetzung von Regierungsgebäuden und Blockierung von Sicherheitskräften. (vgl. Bartkowski, 2014, S.12) Auch lieferte sich der radikalere Flügel der Demonstranten unter Einsatz von unter anderem Molotow-Cocktails, heftige Straßenschlachten mit Polizeikräften. Doch im Anbetracht der Gesamtwirkung war der gewaltlose Widerstand der Masse der ukrainischen Bürger wohl wirksamer. (vgl. Bartowski,2014, S 12)
Die Maidan Revolution resultierte im Sturz der Regierung und der Flucht Janukowitsch außer Landes.
In Folge des Regierungswechsels in Kiew annektierte Russland im März 2014 mit unmarkierten Truppen die ukrainische Halbinsel Krim, die von mehrheitlich ethnischen Russen bewohnt ist. Parallel sagten sich die ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk von Kiew los und gründeten unabhängige Volksrepubliken die international nicht anerkannt wurden. Nach der ukrainischen Präsidentenwahl 2014 ging die ukrainische Armee gegen die Separatisten im Osten in die Offensive, die mutmaßlich massiv durch das an sie angrenzende Russland unterstützt wurde. (vgl. Gorachenko 2022)
Nach mehreren Verhandlungen im Minsk Format und geschlossenen, sowie wieder gebrochenen Waffenstillständen, bildete sich eine immer wieder aufflammende Front im Osten, zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee, die auch von Freiwilligenbataillonen unterstützt wurde.
In den darauffolgenden Jahren kam es zu einer Annäherung zwischen westlichen Institutionen und der Ukraine. Nach gescheiterten Beitrittsverhandlungen der NATO mit der Ukraine und Georgien, sowie dem drauffolgenden Georgienkrieg, verdichteten sich 2021 Hinweise auf eine erneute Annährung der Ukraine und der NATO. (vgl. Walker 2023, S.23f) Auch wurden gemeinsame Manöver abgehalten und ukrainische Truppen nach NATO-Standards ausgebildet, beispielsweise in der Operation Orbital. (vgl. Walker 2023, S.21) Ende 2021 stellte Russland eine Liste von Sicherheitsforderungen auf, die unter anderem beinhaltete, dass die Ukraine niemals der NATO beitreten würde.
Kriegsausbruch
Im weiteren Verlauf häuften sich um die 190.000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze. (vgl. Walker 2023, S. 37) Nach gescheiterten diplomatischen Beschwichtigungsversuchen griffen russische Truppen am 24.2.22 in einem großangelegten Angriff, mit verbundenen Waffen zu Land, Luft und See, die Ukraine an.
russische MI8-Helikopter mit Luftlandetruppen, Hostomel 2022
Mittlerweile dauert der daraufhin ausgebrochene Krieg fast 2 Jahre an und führte auf beiden Seiten zu großen Verlusten an Mensch- als auch an Material. Russland kontrolliert im aktuellen Stand den Nordosten von Kupjansk über Sjewjerodonezk bis Bachmut, sowie den Süden bis zum Fluss Dnipro. (ISW 2024) Russland annektierte bis zu diesen Grenzen die Gebiete Luhansk, Donetsk, Zaporizhzhia und Kherson im September 2022. Nach großflächigen russischen Gebietseroberungen im Nordosten, bis hin zu Kiew am Anfang des Krieges, eroberte die ukrainische Armee große Teile rund um die Metropolen Charkiw und im Süden um Cherson zurück.
Westliche Unterstützung
Ein entscheidender Faktor bei den Rückeroberungen und der erfolgreichen Verteidigung des Restes der Ukraine ist die westliche Unterstützung, vor allem die Lieferung von Waffensystemen und Munition.
Vom 24.1.22 bis zum 15.1.23 sind die Top Unterstützer der Ukraine, im Kontext von militärischer Hilfe und schweren Waffen, die USA mit großem Abstand, gefolgt von dem Vereinigten Königreich, Polen und Deutschland. (Trebesch et al. 2023, S.36) Bei spezifisch schweren Waffen liegen die EU-Länder zusammen jedoch relativ gleichauf mit den USA. Schwere Waffen umfassen Panzer, 155mm Haubitzen und MLRS-Systeme. (Trebesch et al. 2023, S.38)
Ein Beispiel für die Wirkung westlicher Waffen ist die taktische Nutzung der US-gelieferten HIMARS Raketenwerfer durch die ukrainische Armee, nach der russischen Einnahme von Sjewerodonezk. Da die HIMARS Werfer über eine größere Reichweite als die sowjetischen Artilleriesysteme verfügen, gelang es den Ukrainern, die hinter der Front liegende Munitionsarchitektur der russischen Artillerie anzugreifen, und konnte somit in dieser sehr artillerie-lastigen Phase des Konflikts in die Offensive übergehen. (vgl. Masuhr 2023, S.6)
HIMARS im Einsatz in der Ukraine
Doch nicht nur westliche Artilleriesysteme sind strategisch von Vorteil. Auch luftgestützte, westliche Raketensysteme können der russischen Armee zum Problem werden. In dieser Hinsicht zu nennen sind unter anderem die französischen SCALP Cruise Missile Systeme, die amerikanischen Zuni-Raketen und vor allem die britischen Storm Shadows. Da sie eine größere Reichweite besitzen, können sie, aus einer von der russischen Luftabwehr nicht erreichbaren Entfernung von Kampfflugzeugen abgefeuert werden. Dadurch können russische Ziele aus einer relativ sicheren Entfernung effektiv aus der Luft bekämpft werden. (vgl. Verville et al. 2023, S.1)
Neben den Offensivfähigkeiten der westlichen Waffen, sind im Luftkampf auch die Defensivaspekte entscheidend.
Seit Anfang des Krieges haben beide Seiten verfehlt, Lufthoheit über das Kriegsgebiet zu erlangen, die ein Schlüsselelement moderner Kriegsführung ist. Durch begrenzte Gebiete, in denen die Ukraine die Operationsfähigkeit der russischen Luftwaffe durch Flugabwehr verweigert, kann Russland seine weitaus überlegenen Luftkampffähigkeiten kaum ausnutzen. Um diesen Status weiter aufrechtzuerhalten, benötigt die Ukraine andauernde Unterstützung durch Flugabwehrsysteme. (vgl. Verville et al. 2023, S.1) Dazu zählen beispielsweise die US- Patriot oder die deutschen Iris-T Systeme, die auch zum Schutz ukrainischer Städte zum Einsatz kommen.
Auch unabhängig von der strategischen Nutzung der oftmals überlegenen westlichen Waffen, ist der Ausgleich der quantitativen Unterlegenheit der ukrainischen gegenüber der russischen Armee ein wichtiger Faktor. Vor Kriegsausbruch verfügte Russland über 3400 Panzer, die Ukraine nur über 1000. Das Arsenal Russlands verfügte über 2300 Haubitzen, also Artillerie, während die Ukraine nur um die 800 besaß. Auch bei MRLS-Systemen besitzt die Ukraine weniger als die Hälfte der Russen. (Trebesch at al. 2023, S. 38)
Grafik des Ukraine Support Trackers Trebesch et al 2023
Auch wenn die Lieferung von beispielsweise 368 westlichen Panzern bis zum Januar 2023 (vgl. Trebesch et al. 2023, S.38) die russische Überlegenheit nicht vollends ausgleichen kann, hilft jede Lieferung der Ukraine in der Verteidigung. Zudem auch die Abnutzung an der Front auf beiden Seiten massiv ist.
Aufgrund dieser Darstellungen wird deutlich, wie wichtig die kontinuierliche Unterstützung des Westens für die Verteidigung und eventuelle Rückeroberung, des ukrainischen Staatsgebietes ist. Diese Tatsache leitet über, in die zu untersuchenden Bemühungen Russlands, diese Unterstützung mit variablen Mitteln der politischen und hybriden Kriegsführung zu schwächen.
Politische Kriegsführung
Bevor jedoch auf die tatsächlichen russischen Aktivitäten eingegangen werden kann, muss der Begriff politische Kriegsführung näher definiert werden.
Dabei wird das Konzept politische Kriegsführung folgendermaßen definiert: „Die moderne
politische Kriegsführung (Political Warfare) ist der Einsatz aller offenen
und verdeckten Mittel eines Nationalstaates zur Erreichung seiner Ziele und besteht aus
dem gezielten Einsatz einer oder mehrerer Formen von Macht - Diplomatie/Politik,
Information/Cyber, Militär/Geheimdienst und Wirtschaft, um die politischen Verhältnisse
oder Entscheidungsfindung in einem anderen Staat zu beeinflussen.“ (Saalbach 2019, S.3)
Es geht also darum, fremde Nationalstaaten durch Mittel zu beeinflussen, die nicht mehr im Rahmen der politischen Soft Power liegen, aber auch noch nicht als kriegerische Maßnahmen begriffen werden können und so einen offenen Konflikt riskieren.
Wie bereits im vorherigen Abschnitt dargelegt, hat Russland großes Interesse daran, die Unterstützerstaaten der Ukraine so zu beeinflussen, dass sich die Hilfen verringern oder ganz eingestellt werden. Diplomatie und wirtschaftliche Drohungen scheiterten und die Gefahr von totaler Zerstörung wäre bei einem direkten und offenen Konflikt zwischen dem Westen und Russland zu groß, vor allem aufgrund der Atomwaffen in beidseitigen Besitz. (vgl. Saalbach 2019, S.10) Daher bietet sich die politische Kriegsführung für Russland an, um seine Interessen gegen den Westen durchzusetzen.
Im Folgenden werden Merkmale und Dimensionen der politischen Kriegsführung dargelegt, die später auf Fallbeispiele übertragen werden können.
Zuerst festzuhalten ist, dass die politische Kriegsführung geprägt durch die Erweiterung und Verstärkung von bereits vorhandenen Konflikten im Zielland ist. Dabei geht es um alle möglichen Formen von Konflikten wie z.B. religiöse, ethnische oder politische Konflikte. Oft werden dafür auch nachrichtendienstliche Kapazitäten genutzt, um die eigene Beteiligung zu verschleiern sowie Zielgenauigkeit zu gewährleisten. (vgl. Saalbach 2019, S.5)
Um die bereits vorhandenen Konflikte zu verstärken, können „nichtstaatliche Akteure und Organisationen“ (Saalbach 2019, S.5) instrumentalisiert oder angegriffen werden, Cyberfähigkeiten und Informationskrieg, sowie wirtschaftlicher Druck genutzt werden. (vgl. Saalbach 2019, S.5)
Die verschiedenen Dimensionen der politischen Kriegsführung umfassen
1. Diplomatie und Politik: Hier werden demokratische politische Parteien gezielt gefördert und unterstützt. Auch zählt die diplomatische Anerkennung von Opposition oder anderen Parteien als legitime Regierung dazu. (vgl. Saalbach, S.6) Obwohl laut Definition nur demokratiefreundliche Bewegung in der politischen Kriegsführung gefördert werden können, ist es auch möglich autoritärere oder demokratiegefährdende Parteien zu unterstützen.
2. Information und Cyberaspekt: Dazu zählen Propaganda, psychologische Kriegsführung und die Verstärkung von innerstaatlichen Protesten und Widerstandsbewegungen. Vor allem Propaganda kann dabei über soziale Medien effektiv verbreitet werden. (vgl. Saalbach, S. 6)
3. Militär und Geheimdienste: Zu den Aktivitäten von Militär und Geheimdiensten zählt die Ausbildung von Widerstandsgruppen des Ziellandes, nachrichtendienstliche Unterstützung der Widerstandsgruppen bis hin zu tatsächlichen Staatsstreichen. Auch können vorgelagerte ausländische Verbündete militärisch unterstützt werden, wie beispielsweise die Unterstützung der Hisbollah durch den Iran. Außerdem zählen verdeckte Operationen durch Spezialeinheiten ebenfalls zur militärischen Dimension der politischen Kriegsführung. (vgl. Saalbach, S.6)
4. Wirtschaft: Hier wird Wirtschaftshilfe mit Förderung von politischen Zielen verknüpft, sowie Sanktionen und Blockademöglichkeiten durch die eigene Wirtschaft instrumentalisiert. (Saalbach 2019, S.6)
Bei politischer Kriegsführung geht es auch vor allem um politische Werte, Kultur und legitime Außenpolitik. Diese Elemente der politischen Kriegsführung lassen sich wesentlich durch Soft Power verbreiten. (vgl. Saalbach 2019, S.12) Das Ziel ist dabei, das eigene Narrativ zu verbreiten und damit staatliche Ziele und das damit zusammenhängende Handeln zu legitimieren und gleichzeitig das gegensätzliche Narrativ zu schwächen.
Nach der Dominanz des westlichen Narrativs in den 1990er Jahren sind auch andere Großmächte in den Wettbewerb um Kommunikationshoheit eingestiegen, so auch Russland. (vgl. Saalbach 2019, S.12)
Das führt nach vorgehender Betrachtung der generellen Dimensionen auf die detailliertere Beschreibung politischer Kriegsführungsmethoden, sowie Fallbeispiele aus Russlands Kriegsführung.
Fallbeispiele
Propagandakrieg
In Zeiten von sozialen Medien und Fake News ist der Kampf um das Narrativ, die Zuweisung von „Gut und Böse“ von entscheidender Bedeutung für Großmächte im Konflikt. Sowohl inländisch als auch international können Narrative oder die „Kommunikationshoheit“ Handlungen von Staaten legitimieren oder verurteilen, je nachdem wer diese „Kommunikationshoheit“ besitzt.
Grade in den letzten 10 Jahren ist die Bedeutung dieser Dimension der politischen Kriegsführung gewachsen denn;
„Der Kampf um die Kommunikationshoheit wird durch das Aufkommen des Internets mit gefälschten Nachrichten, Social Bots und Cyber-Trollen verschärft“ (Saalbach 2019, S.12)
Diese Tatsache ist auch Russlands Führung bewusst, so ist Russlands Cyberstrategie gleichzusetzen mit der breit gefassten Definition der Shanghai Cooperation Organisation: “Cyberspace Warfare ist ein Wettstreit zwischen zwei oder mehreren Ländern im Informations- und anderen Sektoren, um die politischen, ökonomischen und sozialen Systeme des Gegners zu stören, sowie mit massenpsychologischen Mitteln die Bevölkerung so zu beeinflussen, dass die Gesellschaft destabilisiert wird und um den anderen Staat zu zwingen, Entscheidungen zu treffen, die dessen Gegner begünstigen.“ (Saalbach 2019, S.12)
Grade zu Kriegsbeginn wurden starke russischer Cyberspace Aktivitäten wahrgenommen, um eben Entscheidungen zu erzwingen, die Russland begünstigen. Sie haben das Ziel, Forderungen von Sanktionen gegen Russland und die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. (vgl. Geissler et al,2023, S.2)
Russland besitzt für solche Aktivitäten weit ausgebaute Cyberfähigkeiten und nutzt unter anderem sogenannte „New Generation Warfare“ Innovationen, beispielsweise im Bereich der Mediendurchdringung. (vgl. Robinson 2019, S.3)
Die russische Organisation Internet Research Agency (IRA) war in diesem Sinne schon in mehrere Vorfälle verwickelt, zum Beispiel bei der Maidan Revolution 2014, der US-Präsidentschaftswahl 2016, dem Brexit Referendum und der französischen Präsidentschaftswahl 2017. (Geissler et al,2023, S.2) Dabei ging es vor allem um koordinierte Social-Media Kampagnen. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Kampagnen mit der Zeit weiterentwickelt haben. So wurden 2016 beispielsweise noch Internettrolls angestellt, während in den heutigen Aktionen eher automatisierte Bots zum Einsatz kommen. (vgl. Geissler et al,2023, S.2)
Belege und Studien eben solche Kampagnen im Rahmen des Ukraine Kriegs 2022 gibt es viele. So wurde im Januar 2024 eine prorussische Desinformationskampagne von Forensikern des deutschen Auswärtigen Amtes offengelegt. Von bis zu 50.000 Bot-Konten wurden auf der Plattform X (Twitter) regierungskritische und ukrainefeindliche Posts veröffentlicht. Ein Großteil der bis zu 200.000 täglichen Posts drehte sich dabei vormalig um die Hilfslieferungen an die Ukraine. (vgl. Hinsberger, 2024)
Eine Studie der LMU München aus dem Jahr 2023 untersuchte diese russischen Desinformationskampagnen zum Ukraine Krieg im großen Stil und auf internationaler Ebene. Sie zeigt, wie Russland auf dieser Ebene der politischen Kriegsführung vorgeht, mit welchen Methoden und Mitteln gearbeitet wird und was das Ziel ist.
Die Studie wertete knapp 350.000 pro-russische Twitter Nachrichten aus dem Zeitraum Februar bis Juli 2022 aus. Dabei gibt es große Unterschiede in Länge, Details und Zielland der Posts. Die Posts wurden von insgesamt 130.000 Konten verfasst, von denen 20% als Bots identifiziert wurden. Zudem lässt die Studie erkennen, dass eine große Zahl an Bots zeitgleich zum Start des Ukraine Krieges erstellt wurden. (Geissler et al, 2023, S.8)
Manche Posts drücken Unterstützung für Russland und dem russischen Präsidenten Putin aus, während andere die USA, NATO und die Ukraine kritisieren und in schlechtes Licht rücken. Interessant sind hier vor allem die kritischen Posts über den Westen. Verbunden mit Hashtags wie #stopnato, #doublestandards (Doppelmoral), #hypocrisy (Heuchelei) wird der Westen, besonders die USA, in inhaltlich detaillierteren Posts als der wahre Aggressor inszeniert. (vgl. Geissler et al. S.8)
Russland versucht durch diese Posts und Hashtags, die Kommunikationshoheit im Ukraine Konflikt zu verschieben und die Verantwortung für den Krieg dem Westen zuzuordnen. Das Narrativ, dass die NATO-Erweiterungen und die westliche Annährung der Ukraine Russland praktisch zum Handeln gezwungen haben, wird schon seit der Krim Annexion 2014 reproduziert.
Diese Strategie des „Anzweifeln“ des westlichen Narrativs ist eine klassische russische Desinformationsstrategie, die schon im Kalten Krieg durch den KGB genutzt wurde. Durch den zunehmenden Konflikt Russlands, mit dem Hegemoniestreben der USA, beginnend in den frühen 2000ern, kam es zu einer Renaissance der alternativen Narrativen. Um diese Narrative im Westen zu säen, nutzt Russland unter anderem Formate wie den Sender RT (Russia Today) und fördert bereits existierende „Verschwörungstheorien“ über westliche Regierungen, vor allem über die neuen Informationstechnologien. (vgl. Yablokov 2022, S.2)
Besonders die unterstützten Verschwörungstheorien sind effektiv in der Destabilisierung von westlichen Narrativen und Institutionen. Der Glaube an Verschwörungstheorien zerstört das Vertrauen in staatliche Institutionen und öffentliche Meinungsbilder und untergräbt somit demokratische Prinzipien. Verschwörungstheorien fördern vorhandene gesellschaftliche Spaltungen und Konflikte, da sie in vielen Fällen von Eliten handeln, dessen Interessen im Konflikt mit der Gesellschaft stehen und die öffentliche Meinung, Politik und Wirtschaft kontrollieren. (vgl. Watanabe 2018, S.4)
Dadurch wird die Realitätswahrnehmung verändert, aber auch der Glaube in politische Institutionen, Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten nimmt ab. (vgl. Watanabe 2018, S.4)
Auch wenn viele von Russland unabhängige Verschwörungstheorien mit einem wahren Kern existieren mögen, nutzt Russland bereits vorhandene oder eigens kreierte Verschwörungstheorien für genau diese Effekte aus.
Verschwörungstheorien, die beispielsweise von dem russischen Format Sputnik TV unterstützt werden, sind unter anderem die Destabilisierung der USA durch den jüdischen George Soros, sexueller Missbrauch von Kindern durch westliche Politiker, geheime illegale NATO-Einsätze zur Unterstützung Rechtsradikaler, die Darstellung der Salisbury Vergiftungen als britische Inszenierung, die Unterstützung von ISIS durch die USA, die Kontrolle der britischen Regierung durch eine Geheimelite. (vgl. Watanabe 2018, S. 15-18) Diese Aufzählung umfasst nur Verschwörungstheorien, die im englischsprachigen Raum verbreitet wurden.
Zudem wird beispielsweise die Liberalisierung oder Freiheit der sexuellen Orientierung im Westen von Russland zur Destabilisierung und Polarisierung ausgeschlachtet. „Russland tritt als Verfechter traditioneller europäischer Werte wie Familie, Religion und Patriotismus auf, während westliche Gesellschaften als orientierungslos gelten.“ (Saalbach 2019, S.12)
Des Weiteren zeigt die Studie der LMU, dass diese Social Media Kampagnen ganz gezielt Länder in den Fokus nimmt, die bisher unschlüssig sind, welchem Narrativ zu folgen ist. So ist eine überproportional höhere russische Aktivität in den Ländern zu erkennen, die sich bei einer UN-Resolution zur Verurteilung des Angriffskrieges enthalten hatten. (vgl. Geissler et al., 2023, S.10) Grade in diesen Ländern ist der Kampf um die Kommunikationshoheit für Russland von entscheidender Bedeutung und hat höhere Erfolgschancen als beispielsweise in westlichen Ländern, die ihre Bevölkerung gegen Russland eingeschworen haben.
Die dargelegten russischen Aktivitäten im Cyberspace sind Teil der politischen Kriegsführung in der Informations- und Cyberkrieg Dimension. Sie dienen dem Ziel, den russischen Angriffskrieg international zu legitimieren und die Kommunikationshoheit zu Gunsten des russischen Narrativs zu verschieben. Dabei koordiniert Russland seine Anstrengungen auf zwei Ebenen; zum einen die Unterstützung für die Ukraine im Westen zu destabilisieren, indem westliche Regierungen vor ihrer eigenen Bevölkerung diskreditiert werden und zum anderen, indem noch unabhängige Staaten so beeinflusst werden, dass eine Unterstützung der Ukraine von Anfang an untergraben wird. Wie wichtig die Beeinflussung von beispielsweise Staaten des globalen Südens ist, wird im nächsten Abschnitt noch deutlicher.
Wagner in Afrika
Denn ein Fallbeispiel, welche den Wettbewerb um Kommunikationshoheit und politischen Werten mit der militärischen Dimension verbindet, ist die Instrumentalisierung der Wagner Söldner in Afrika, für wachsenden russischen Einfluss und die damit zusammenhängenden Konsequenzen für den Westen.
Die Wagner Gruppe ist eine private Söldnertruppe, gegründet von dem verstorbenen kremlnahen Unternehmer Yevgeny Prigoshin, unterstand aber vor allem vor dem Ukraine Krieg inoffiziell dem Kommando des Kremls. Wagner unterstützte die reguläre Armee im Ukraine Krieg, sie sind mitverantwortlich für die Eroberung Bachmuts. Nach Verwerfungen der Führungsebene mit der regulären russischen Armee, kam es zeitweise zu einer Rebellion der Wagnergruppe gegen die Militärelite, die jedoch kurz vor Moskaus Grenzen wieder eingestellt wurde. (vgl. Mellen et al 2023)
Die Wagnertruppen zerstreuten sich nach der Rebellion oder schlugen ihr Lager im benachbarten Weißrussland auf. Der Führer der Gruppe und der Rebellion, Prigoshin, starb wenig später durch einen ungeklärten Flugzeugabsturz. Der aktuelle Status der Wagner Söldner ist diffus, manche schlossen sich der russischen Armee an, andere wechselten zu ebenfalls kremlnahen Sölnergruppen wie dem Redut PMC. (vgl. Pjotr 2023)
Doch für die Untersuchung im Zusammenhang der politischen Kriegsführung sind die Aktivitäten der Wagnergruppe in afrikanischen Staaten, vor der Rebellion und dem Zusammenbruch im Sommer 2023 viel relevanter.
Unabhängig von den Kämpfen in der Ukraine, operierten die Wagner Söldner unter anderem in der Zentralafrikanischen Republik, Libyen, Madagascar, Mali, Mozambique und dem Sudan. (vgl. Pokalova 2023, S.2)
Die Einsätze der Wagnergruppen in Afrika variieren zwischen Terroristenbekämpfung über Unterstützung autokratischer Regierung bis zur Ressourcensicherung. (Pokalovka 2023, S.1)
Wagner Söldner bei Training lokaler Milizen
Der Einsatz der Wagnersöldner, die offiziell zwar eine private Gruppe darstellen, inoffiziell jedoch vom Kreml finanziert und befehligt werden, ist Teil einer größeren russischen Afrika Strategie. (vgl. Pokalova 2023, S.2)
Einerseits dient Afrika Russland als neuer Handelspartner, vor allem bei zunehmend schlechten Beziehungen zur EU, andererseits bietet Afrika die Möglichkeit den Westen international moralisch zu untergraben und die „Kommunikationshoheit“ (Saalbach 2019, S. 12) in diesem Teil der Welt zu erlangen.
Deutlich wird diese Strategie in einem Auszug einer Rede Putins, gehalten während des Russland-Afrika Gipfels in Sotchi. Dort kritisiert Putin den kolonialen Umgang des Westens mit afrikanischen Staaten, der laut ihm von Druck, Erpressung und Einschüchterung geprägt und auf Ressourcenausbeutung des afrikanischen Kontinents ausgelegt ist. Gleichzeitig zeigte Putin bei diesem Gipfel Russland als kooperativen Partner ohne Ansprüche, im Gegensatz zum Westen. (vgl. Pokalovka 2023, S.2)
Praktisch wurde diese moralische Überlegenheit Russlands in Mali umgesetzt. Traditionell geprägt durch eine kolonialistische Vorgeschichte, lag Mali lange unter französischem Einfluss. Nach dem Erstarken islamistischer Terrorgruppen wie ISIS und JNIM in Mali, entschied sich Frankreich zur militärischen Intervention, die auch EU-Missionen nach sich zog. (Pokalovka 2023, S.14)
Nach mäßigem Erfolg und Ablehnung durch die Bevölkerung, zog Mali 2021 seine Truppen ab und überließ ein Machtvakuum. Der Abzug Frankreichs war durchzogen von frankreichfeindlicher Propaganda und Forderungen nach mehr Kooperation zwischen Mali und Russland. (Pokalova 2023, S.14) Unterstützung für Russland und die Wagnergruppe wurde unter anderem durch „koordinierte Social Media-Kampagnen“ (Pokaovka 2023, S.15) mobilisiert. Diese Social Media-Kampagnen ähneln den bereits beschriebenen Twitter-Kampagnen der LMU-Studie aus dem Abschnitt „Propagandakrieg“ sehr.
Darauf folgten russische Rüstungslieferungen nach Mali auf offizieller Ebene und die verdeckte Entsendung von Wagnertruppen. Die Söldner sollten malische Soldaten trainieren, als Sicherheitsdienst für hohe Beamte agieren (vgl. Meduza 2022) und zusammen mit der regulären Armee Malis gegen Jihadisten Gruppen kämpfen. Dabei lieferten sie aber jedoch nur begrenzt Erfolge. Gleichzeitig unterstützten die Wagnerkämpfer jedoch die prorussische Militärjunta, die in Mali mittlerweile an der Macht war. Dies geschah wohl auch durch Gewalt gegen Zivilisten und prodemokratische Demonstranten in mehreren Fällen. (vgl. Pokalova 2023, S. 15)
Zusätzlich zu militärischen und politischen Aktivitäten, soll die Wagnergruppe auch aktiv Goldminen Malis für den russischen Staat gefördert haben. (vgl. Meduza 2022) Die Gewinne aus den Goldressourcen fließen laut US- Finanzministerium direkt in die Kriegskasse Russlands. (vgl. Pokalova 2023, S.15)
So erfüllen die russischen Aktivitäten in Afrika gleich mehrere Erkennungsmerkmale von politischer Kriegsführung. Zuerst einmal bedient die Verdrängung, beziehungsweise das Ersetzen der westlichen Militärunterstützung, das Narrativ des kolonialistischen und expansiven westlichen Verhaltens, dass auch zur Rechtfertigung des Ukraine Kriegs genutzt wurde. Gleichzeitig bestärkt Russlands Narrativ der Ausbeutung und Erpressung durch den Westen (vgl. Pokalova 2023, S.12) Vorwürfe der Doppelmoral des Westens, geäußert von mehreren Staaten des globalen Südens im Kontext des Ukraine Kriegs. Russland hat hier durch psychologische Kriegsführung und Propaganda einen Etappensieg auf der Informationsdimension der politischen Kriegsführung erlangt. (vgl. Saalbach 2019, S.6)
Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg (AFP / SERGEI BOBYLYOV)
Unabhängig davon, ob die Vorwürfe gegen die westlichen Aktivitäten in den Sahelstaaten wahr sind, wecken sie Zweifel an politischen Werten des Westens, sowohl international als auch in der Bevölkerung der Zielstaaten selbst.
Parallel baut Russland seinen Einfluss durch die militärische Dimension aus. Vor allem die Hilfe für ausländische Verbündete, also die prorussischen Regierungen der Sahelstaaten und die Nutzung von verdeckten Operationen, also die Instrumentalisierung der Wagner Gruppe als „agent of influence“ (Pokalova 2023, S.15), sind Merkmale der militärischen Dimension der politischen Kriegsführung. (vgl. Saalbach 2019, S.6)
Auch wenn die Verbindung zur westlichen Unterstützung der Ukraine auf den ersten Blick nicht klar zu erkennen ist, schaden ihr Russlands Erfolge in der Region indirekt. Erstens dadurch, dass Russland neue Partner auf dem afrikanischen Kontinent gewinnt und diese Partner als moralische Legitimation gegen das westliche Narrativ nutzen kann. So stimmten beispielsweise bei einer Abstimmung für eine UN-Resolution zur Verurteilung des russischen Angriffskrieges 81% der nicht-afrikanischen Staaten für die Resolution, während von den afrikanischen Staaten nur 52 % für die Resolution stimmten. (vgl. White/Holz 2022)
Zweitens durch den faktischen Einflussverlust des Westens über die Region, der strategisch vor allem Frankreich schadet und damit auch dem Westen vor Augen führt, dass er durch seine Unterstützung der Ukraine Risiken eingeht. Diese Risiken macht Russland dem Westen auch auf anderen Ebenen deutlich, wie im nächsten Fallbeispiel beschrieben.
GPS Jamming
Dieses Fallbeispiel rückt die reine militärische Ebene der politischen Kriegsführung in den Fokus und zeigt, wie imminent die Gefahr, die von Russland ausgeht, ist. Seit 2022 häufen sich Berichte aus dem Ostseeraum und den nordöstlichen Anrainerstaaten über Ausfälle und Ungenauigkeiten des Satellitennavigationssystems, also des GPS in der Region. Sowohl Schiffe als auch Flugzeuge sind betroffen. Dabei kommt es kurzfristig zu Störungen im System, Positionen werden falsch oder gar nicht angezeigt und die Manövrierfähigkeit, sowie die Sicherheit der Schiffe und Flugzeuge wird dadurch gefährdet. Um den Jahreswechsel 2023/2024 waren die Ausfälle besonders stark und erreichten sogar das deutsche Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In der „Open Source Itelligence“ Szene wird dieses Phänomen als „Baltic Jammer“ beschrieben. (vgl. Strüber 2024)
Signalstörungsraster (OSINT)
Experten skandinavischer Konfliktforschung halten diese Störungen für russisches GPS Jamming. (vgl. Porter 2024)
GPS Jamming ist das Blockieren der Sattelitensignale, die Navigationssysteme zum Funktionieren benötigen. Da GPS-Signale sehr schwach sind, benötigt man zum Stören auch nur schwache Signale. Je größer die Geräte, die zur Störung genutzt werden sind, desto größer ist auch die Reichweite der Störung. (vgl. Strüber 2024)
Für die Störung verantwortlich könnten russische Schiffe sein, die parallel in der Region, ohne eingeschaltetes „Automatic Identification System“, gesichtet wurden. Auch das in Kaliningrad vermutete neue „Tobol-System“ hätte die Fähigkeiten zur elektronischen Kriegsführung. (vgl. Strüber 2024)
Russland besitzt im Feld der elektronischen Kriegsführung „Killer Capabilities“, die teilweise auch US-Waffen überlegen sein sollen. Ein Grund, warum Russland so viel auf elektronische Kriegsführung setzt, ist dass es dadurch relativ kostengünstig die Kommunikation und Navigation von feindlichen Streitkräften stören kann. (vgl. Smith 2020, S.3)
Zudem ist elektronische Kriegsführung für das russische Militär wichtig für psychologische Operationen. (vgl. Smith 2020, S.3) Diese Tatsache erklärt Russlands Motiv, im mutmaßlichen Einsatz von GPS-Jammern in der Ostsee. Nämlich „Abschreckung und Einschüchterung“. (Strüber 2024)
Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine nutzte Russland seine elektronischen Fähigkeiten, um ukrainische Soldaten zu lokalisieren und ihnen Drohungen auf ihre privaten Mobiltelefone zu senden und sie so zur Kapitulation zu bringen. (vgl. Smith 2020, S. 4) Der mutmaßlich russische „Baltic Jammer“ könnte den Zweck erfüllen, den Westen großflächig genauso einzuschüchtern wie die ukrainischen Soldaten.
Joachim Paasikivi von der schwedischen Verteidigungsuniversität beschreibt das GPS Jamming als eine von vielen verdeckten Methoden, um Staaten zu unterlaufen, Zweifel zu säen und Stärke zu zeigen. (vgl. Porter 2024)
Obwohl es außer Experteneinschätzungen keine eindeutigen Beweise für russische Involvierung gibt und NATO-Kräfte in der Region ebenfalls über elektronische Fähigkeiten verfügen, wären russische Störungen eine plausible Maßnahme der politischen Kriegsführung und erfüllen vormals ausgeführte Erkennungsmerkmale der militärischen Dimension. Dass diese Störungen nicht zuzuordnen sind, spricht für eine erfolgreiche Umsetzung von „verdeckten Operationen (Black Ops)“. (Saalbach 2019, S. 6)
Taurus Abhöraffäre
Das letzte Fallbeispiel für diese Analyse ist die Abhöraffäre rund um die Bundeswehr und Marschflugkörper Taurus Anfang 2024. Es dreht sich um spezifische Lieferungen von Waffen und Störaktionen Russlands rund um das Thema.
Taurus ist ein Marschflugkörper, der zur Bekämpfung von Zielen über große Entfernungen (500km) verwendet wird und sehr fortgeschrittene und zuverlässige Ziel- und Navigationssysteme besitzt. (vgl. Bundeswehr) Die Lieferung von Taurus Raketen war lange in der Diskussion, doch die Bundesregierung blieb, auch als die Briten und Franzosen ihre Langstreckenraketen (SCALP und Storm Shadow) an die Ukraine lieferten, bei einer Absage für Taurus Lieferungen. Da mit Taurus Raketen auch effektiv Ziele in Russland angegriffen werden können, war die Diskussion besonders brisant.
Während eines von Russland abgehörten Gesprächs zwischen deutschen Luftwaffenoffizieren wurden die Möglichkeiten zum Einsatz und zur Lieferung von Taurus Raketen diskutiert. Dabei wurden auch Szenarien zur Zerstörung der russischen Kertsch Brücke besprochen und die mögliche Beteiligung deutscher Soldaten beim Einsatz der Raketen erörtert. (vgl. Zeit Online 2024)
Taurus Marschflugkörper, montiert auf deutschem Eurofighter
Russland sieht darin Beweise für die direkte Beteiligung des Westens am Ukraine Krieg und stellt die, durch die Abhörung erlangten Informationen als Pläne für deutsche Angriffe auf russisches Territorium dar. (vgl. Zeit Online 2024)
Hier nutzt Russland die Geheimdienstdimension der politischen Kriegsführung, um durch Nachrichtendienste an kompromittierende Informationen zu kommen und diese entsprechend gegen den Westen und hier besonders Deutschland zu verwenden und die deutsche Entscheidungsfindung in der Taurus-Frage zu beeinflussen. Die Offenlegung des Bundeswehrgesprächs erfüllt gleich mehrere Zwecke. Erst einmal bestärkt es das Narrativ des eskalierenden und kriegstreibenden Westens, so behauptete der russische Außenminister Lawrow, dass „das Kriegslager in Europa immer noch sehr, sehr stark ist.“ (Zeit Online 2024)
Hier werden die nachrichtendienstlich angeschafften Informationen genutzt, um wie in den anderen Fallbeispielen die Kriegsschuld dem Westen zuzuschieben und Russlands Angriffskrieg als gerechtfertigte Verteidigung darzustellen.
Gleichzeitig säht die Veröffentlichung jedoch auch Zweifel zwischen den NATO-Partnern und führt zu einem Vertrauensverlust für Deutschland. Denn durch die Abhörung wird sich ein NATO-Partner zweimal überlegen, mit der Bundeswehr Informationen zu teilen.
Außerdem macht es die Lieferung von Taurus Raketen noch unwahrscheinlicher als davor. Denn eine Erörterung von Bundeswehrbeteiligung würde Deutschland bei einer Lieferung zur Kriegspartei machen. Laut der FPD-Verteidigungspolitikerin Strack Zimmermann spricht auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gesprächs dafür, das Russland eine Lieferung von Taurus Raketen unbedingt verhindern will. (vgl. Zeit Online 2024)
Auswirkungen auf die Unterstützung der Ukraine
Die bisher beschriebenen Fallbeispiele haben gezeigt, dass Russland auf verschiedensten Ebenen der politischen Kriegsführung versucht, den Westen einzuschüchtern und die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Obwohl sich die bisher aufgeführten Maßnahmen Russlands nicht in einen direkten Kausalzusammenhang mit den Dynamiken der militärischen und finanziellen Hilfe für die Ukraine setzen lassen, haben sich diese Hilfen doch parallel stark gewandelt.
Denn die Ukrainehilfen schwinden international in allen Bereichen. So wurde laut dem „Kiel Institute for World Economy“, in der Periode von August bis Oktober 2023 90% weniger Hilfe geleistet als zum selben Zeitraum im Vorjahr. (vgl. Ukraine Support Tracker 2023) Hilfe aus den USA wurde Stand Januar 2024 fast eingestellt und es ist unklar ob und wann neue Hilfspakete durch den Kongress abgesegnet werden. Die Hilfen der EU wachsen jedoch, da sie das Vakuum der USA ausgleichen müssen. Trotzdem besteht auch hier eine große Differenz zwischen versprochener Hilfe und tatsächlich gelieferter Hilfe. (vgl. Ukraine Support Tracker 2024)
Allgemein sehen die Forscher hinter dem Ukraine Support Tracker eine sehr viel zögerlichere Spenderhaltung und bis auf ein paar regelmäßige Spender auch weniger Staaten, die Hilfe leisten. (vgl. Ukraine Support Tracker 2023)
Fazit
Nach Betrachtung der verschiedenen Fallbeispiele und unter Berücksichtigung von klaren Erkennungsmerkmalen und Funktionen der politischen Kriegsführung lässt sich behaupten, dass Russland auf mehreren Ebenen und über verschiedene Dimensionen politische Kriegsführung betreibt, um die Unterstützung der Ukraine durch den Westen zu schwächen. Auch zeigt die Beschreibung der Notwendigkeit der westlichen Unterstützung der Ukraine, vor allem mit Waffen und Munition, dass die Motivation Russlands die Unterstützung zu schwächen, durchaus sinnvoll und entscheidend ist.
Diese Motivation setzt sich unter anderem in die drei beschriebenen Fallbeispiele um.
Der russische Social-Media Propagandakrieg wird auf der Informations- und Cyberdimension durchgeführt und enthält Elemente der psychologischen Kriegsführung. Die Propaganda zielt dabei auf zwei Ebenen, zum einen die Bevölkerung im Westen im Thema Ukraine Unterstützung zu demoralisieren und zum anderen in noch neutralen Staaten den Westen und die Ukraine zu diskreditieren und Russlands Angriffskrieg zu legitimieren.
Die Einflussnahme in Afrika destabilisiert die Ambitionen des Westens in der Region und zeigt so die Risiken der Unterstützung auf. Hier arbeitet Russland auf der politischen Dimension, indem es die afrikanischen Staaten auf seine Seite bringt und die Doppelmoral des Westens betont. Andererseits instrumentalisiert Russland seine Wagnersöldner auf der militärisch/geheimdienstlichen Dimension, um vorgelagerte Proxies zu unterstützen und koppelt dies an Bemühungen der Cyberdimension.
Das mutmaßliche russische GPS Jamming in der Ostsee vereint wiederum die militärische Dimension mit psychologischer Einschüchterung. Hier wird die Gefahr, die von der Unterstützung der Ukraine in diesem Konflikt für den Westen ausgeht, deutlich gemacht.
Außerdem verdeutlicht die Abhöraktionen rund um den Taurus Marschflugkörper die Nutzung geheimdienstlicher Kapazitäten und die Nutzung der dadurch erlangten Informationen, um so auch auf die politische Dimension einzuwirken.
Mit all diesen Maßnahmen versucht Russland auch dem Westen zu schaden, vor allem durch die Versuche der internationalen Diskreditierung über beschriebene koordinierte Cyberanstrengungen. Diese Narrativverschiebung, sowie der, über das Mali Fallbeispiel beschriebene Einflusswechsel in Afrika, zeigen die Renaissance des althergebrachten Ost-West-Konflikts des Kalten Krieges, die durch den Ukraine Krieg ausgelöst wurde und neben Russland auch vom Westen immer weitergetrieben wird.
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